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Bericht:

thumb pollak_1Gewandert bin ich schon viel, beim Alpenverein, mit 10, 12 und 13 Jahren. Also müsste das doch locker zu realisieren sein. So dachte ich und fing an, meine Überlegungen zu konkretisieren. Schon vor Jahren hatte ich bei Paolo Coelho gelesen, welch wertvolle Zeit und Erfahrungen man am Jakobsweg erleben könne. Der Wunsch war schell geboren. Er ist ja bekanntlich auch Vater der Gedanken und so spürte ich in mir eine gewisse Kraft, die mich zunehmend mehr anzog, mir deutete, meine sieben Sachen zu packen und einfach los zu gehen.

Ende Jänner war diese Kraft so präsent, dass ich mich ihrer nicht mehr wehren konnte und wollte. „Es“ war zu tun, die Sache war beschlossen. Angesichts des milden Winters 2006/07 müsste sich so eine Reise wohl auch im Februar realisieren lassen. Allein?! Ja, warum denn nicht! Ich wollte doch ohnedies so manches aufarbeiten, mit mir sein und in mich kehren. Da muss man doch alleine los. Aber Peppo schaute mich mit den großen Augen eines armen Stadthundes an der sich die wenigen aufregenden Augenblicke seines Lebens in Form von Spaziergängen an der Leine erbetteln muss. Und so war auch er gleich mit von der Partie. Ja, so würde ich nicht allein sein und doch nur mit mir und meinen Gedanken unterwegs.

Der Beginn

Die Streckenführung war noch ungewiss, schließlich ließen sich kaum mehr als 2 Wochen dafür Zeit nehmen. Für An- und Abreise nach Spanien und von Santiago mussten 2-3 Tage kalkuliert werden. Das war zu viel, da musste es noch andere Möglichkeiten geben. War da nicht auch ein näherer Weg in Italien? Nach Rom zu gehen, in die Metropole der lebenden Christenheit war ohnedies verlockender, als zu einem stummen Apostelgrab am Ende Europas. Im Netz wurde ich schnell fündig. „Via Francigena“ wurde zig mal aufgerufen, als ich „Pilgerweg“ und „Rom“ googlete. Der Rest war dann einfache Recherche. Dank des Vereins Eurovia (www.eurovia.tv) des österreichischen Duos Kerschbaum/Gattinger, der sich der Belebung europäischer Kultur- und Pilgerrouten verschieben hat, konnte ich das Wesentlichste über die „Francigena“ in Erfahrung bringen. Ausgestattet mit wertvollen Tips für Ausrüstung und Zeitplanung, Wund- und Blasenvermeidung und versorgt mit detaillierten Etappenplänen, fühlte ich mich einigermaßen in der Lage, loszugehen. Gesamte Vorbereitungszeit: 1 Woche.

Der Nachtzug sollte Peppo und mich nach Florenz bringen. Von dort war Fußmarsch angesagt. Der Weg führte uns zunächst über Siena, dann weiter Richtung Süden in die Etruskergegend nach Vescovado und Murlo. Über wunderbare Pfade und verschlungene Wege. Man geht über Staubstrassen, die einen über die toskanischen Hügel auf wunderschöne Aussichtsterrassen bringen, die die Weite dieses auch im Februar in herrliche Ockertöne getauchten Landes erkennen lassen. Leider ist man gezwungen, einige Passagen auch auf Asphalt zurückzulegen, viele sogar auf der „Via Cassia“, der einstigen nördlichen Hauptverbindung nach Rom, die heute eine „Strada Statale“ und entsprechend frequentiert ist. Dennoch wird man für die manchmal in lebensgefährlicher Nähe an einem vorbeiziehenden und stinkenden Trucks ausreichend entschädigt. Jede Station führt abends in ein antikes oder mittelalterliches Dorf. Übernachtet wird traditionsgemäß als Pilger in einem Kloster, einer Abtei, einem Konvent oder einfach bei einem Pfarrer, der jeden Pilger mit Pass (beziehbar über Eurovia) gerne aufnimmt und manchmal auch gegen eine Spende ausgezeichnet verköstigt.

Was braucht ein Pilger?

pollak 2Ich lernte rasch. Es gibt 3 Dinge, die ein Pilger abends braucht, wenn die Kraft nachlässt, die Füße nicht mehr spürbar sind und man vom Alleinsein genug hat: eine heiße Dusche, ein gutes Mahl und gute Gesellschaft. Die Gespräche, die ich auf meiner Reise führte, zählen zu den positivsten, offensten und gewinnbringendsten meines Lebens. Eine Menschenliebe und Herzlichkeit, die man nur selten im täglichen Leben erfahren kann. Ob es der Verdi-Arien singende Hobby-Tenor und Berufspfarrer Don Giacinto war, der mir in Murlo seine Wohnung als Unterkunft anbot, da ihm der ungeheizte Herbergsraum seiner Pfarre angesichts des Nachtfrosts als unzumutbar erschien oder eine Bauernfamilie in Siena, die mich zu einem üppigen toskanischen Abendmahl einlud und nicht mal etwas von mir annehmen wollte. Soviel Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe kannte ich zwar auch schon von meinen sizilianischen Freunden. Doch so viel Menschlichkeit in so geballter Form, quasi in täglicher Dosis, zu erfahren, war für mich eine überwältigende Neuigkeit. Auch Peppo war insgesamt weniger ein Problem bei der Suche nach Unterkunft und Quartier, als eine Eintrittskarte. Der „witzigste und bravste Hund von Florenz bis Rom“, so schien und hieß es, öffnete auch noch die Herzen, zu denen ich allein wenig Zugang hatte. (Wenn die wüssten, dass dieser Hund so ziemlich jede Katze zwischen Florenz und Rom auf irgendeinen Olivenbaum oder Strauch jagte!).

Organisatorisch gesehen war die Reise natürlich auch eine kleine Herausforderung. Ich hatte schon von zu Hause aus die ersten fünf Etappen vorreserviert, was die Herbergssuche erleichtern sollte. Schließlich handelt es sich bei der Francigena doch um eine gegenüber dem Jakobsweg zumindest touristisch stark vernachlässigte Route. Doch wie sooft im Leben und gerade auf einer Pilgerreise, bei der man die Etappen nur von Plänen kennt, lässt sich eben nicht alles vorherbestimmen und planen. So musste ich auch einmal regenbedingt einen ganzen Tag pausieren – meine Füße dankten es sehr! Das freilich in einer Kulisse und Herberge, die besser nicht hätte sein können. Am Lago di Bolsena, einem weitgehend touristisch unbekannten See vulkanischen Ursprungs, fand ich Quartier in einer Künstler-Kommune, die sich hoch über dem Lago und der Stadt Bolsena in einem aufgelassenen Franziskanerkloster eingemietet hatten. Ich war eher auf eine klerikale Unterkunft eingestellt, hieß doch der Ort „Santa Maria del Giglio“. Hier fand ich Anschluss bei der Community, mit denen ich zwei Tage lang wohnen, kochen, essen und arbeiten durfte. Personen, die ich nie vergessen werde, ob es der portugiesische Lebenskünstler Daniel oder die lettische Kunstmalerin Kristine waren, jeder hatte so viel an eigener Lebens-Story und Philosophie, dass ich mich an meine Erasmus-Zeit in Bologna zurückerinnerte und mich mit Daniel seinen portugiesisch-melancholischen Gitarrenklängen hingab und ein Abend mit sphärischem Gesang und viel Wein aber einem ungeheuren Feuer in der Brust endete. Als ich das Kloster nach zwei Tagen bei strahlendem Sonnenschein verließ, hatte ich den Eindruck, als wäre die Zeit still gestanden, als hätte es kein Gestern und kein Morgen gegeben. Hatten wir gestern Abend nicht Hotel California von den Eagels gesungen?

Der Junge aus Neapel

pollak 5Nach einigen Kilometern traf ich Gianluca, einen13-jährigen Junge aus Neapel. Von seiner Familie in den Norden geschickt, um an der Strasse Obst zu verkaufen. Er wärmte sich an einem Feuer aus ein paar zusammengesuchten Ästen, als ich ihn um 6:30 Uhr morgens an der „Cassia“ traf. Zwei unschuldige Augen eines Kindes sahen mich an, als er fragte: „Österreich, ist das weit?“. Er hatte keine Ahnung von Geografie und konnte auch nicht lesen. „Se vai a scuola o no, tanto non se ne frega nessuno!“, es interessiere niemanden, ob er zur Schule gehe oder nicht, so erklärte er mir den Umstand, dass er hier arbeitete. Dann erzählte er mir von der Mafia, der Camorra und von den letzten Morden in Neapel, „die stecken Dich in einen Betonpfeiler, lebend!“ Er sei hier, damit er der Familie die € 40/Tag, die er verdiene schicken könne und weil es hier sicherer sei als in Neapel. Er schenkte mir 3 Mandarinen und weigerte sich mit aller Gewalt, von mir was anzunehmen. Ich ging mit großem Bauchweh weiter. Mein Gott, diese Verbrechen, Kinderarbeit, Sklaverei, wir leben doch in Europa, oder!?

Diese Fragen beschäftigten mich noch lange, doch war es doch der Weg, der mich auch gedanklich weiterführte. Nach Montefiascone, wo sich schon mal ein Pilger mit dem guten Wein (EST! EST!! EST!!!) zu Tode gesoffen hatte. Der Weg entlang des Bolsenasees zählte landschaftlich zu den Highlights dieser Pilgerfahrt. Schließlich führt einen die Francigena stets durch Olivenhaine mit blühenden Sträuchern und Bäumen, über Brücken und Flüsse entlang einer atemberaubenden Kulisse und Aussicht auf den meeresähnlichen Bolsenasee, der sogar Gezeiten haben soll! Augenblicklich fasste ich den unwiderruflichen Entschluss, hierher zurückzukehren.

pollak_6Die Via Francigena ist einer der drei großen Pilgerwege des Christentums mit ihren Zielen Santiago de Compostela, Jerusalem und eben auch Rom. Der Weg wurde abseits der damaligen Handelsrouten gewählt und führte von Canterbury über 1.800 km nach Rom. Er ging aber doch auch durch damalige Metropolen, wie Siena und Viterbo. Allerdings war er sicherer und ruhiger und bot jedem Reisenden Schutz in den vielen Klöstern und Abteien. Das Augustinerkloster St. Antimo, nahe Montalcino, zählt zu den beeindruckendsten und auch perfekt organisiertesten. In seinem Ostello Tabor bekommt ein Pilger alles, was er braucht. Die Teilnahme an den Messen ist möglich und erwünscht, aber auch eine wahre Freude, angesichts der in der romanischen und sehr schlichten Kirche von den Mönchen in weißen Kutten gesungenen gregorianischen Choräle. Ein Traum für alle Fans von Umberto Eco und der Name der Rose. Doch was einem hier auch in spirituellem Sinn widerfährt, kann man nicht mit einem Abklatsch auf einen Roman abtun. Das muss man selbst erlebt haben!

pollak 6Die Via Francigena, besser der Abschnitt, für den ich mich entschlossen hatte, führt ihrem letzten Drittel von Montefiascone über die antike „Via Cassia Consolare“, deren römische Pflasterung heute noch zum Teil kilometerlang erhalten ist, in die wunderschöne Handelsstadt Viterbo und von dort hinauf auf die Monti Cimini mit ihem Lago di Vico, durch einen wunderbaren Buchenwald auf rund 1000 Meter und weiter in die Etruskergegend Sutri, einem ehemaligen Papstsitz. In Sutri findet man haufenweise in den Tuffstein gemeiselte Höhlen und Nekropolen, ein etruskisches Amphitheater und sogar eine in Form einer Höhle ausgestaltete Kirche.

Die letzten 30 Kilometer

Allein die letzten 30 km von Montòsoli nach Rom sind durch die moderne Welt für einen Fußpilger völlig unwegsam geworden. Die „Cassia“ verläuft hier als 4-spurige Schnellstrasse. Meine Karten wollten Peppo und mich just auf diesem Weg nach Rom geleiten. No way! Ich bin zwar Pilger und zu Fuß, doch lebensmüde bin ich nicht! Ein Regenguss erleichterte die „feige“ Entscheidung, doch den Bus zu nehmen und ein Stück der letzten Kilometer unwürdig nach Rom einzufahren. Auf dem Weg hatte ich zwar von Alberto Alberti dessen wunderbares Buch „I Sentieri Lungo La Via Francigena“ erhalten, das einem allerhand Ersatzrouten anbietet und das auch wunderbares Kartenmaterial anbietet, doch hatte ich auch einen Zeitplan einzuhalten, der mir nicht mehr allzu viel Spielraum lassen wollte. Ich wollte schließlich meiner Pilgerreise, die mich neben den vielen körperlichen, lukullischen, kulturellen und menschlichen Aspekten vor allem auf spiritueller, religiöser Ebene bereicherte, einen krönenden Abschluss geben: Eine Papstaudienz.

Schon vor der Reise bestellte ich beim deutschen Pilgerzentrum in Rom eine Karte für die allwöchentliche Mittwochsaudienz. Was man sich darunter vorstellen darf, sei gleich geschildert. Ich stellte mich auf Anraten der beiden sehr lieben Volontärinnen des Pilgerzentrums bereits um 8:30 vor dem Vatikan an. Ich hatte zwar schon meine Karte, doch sollte der Andrang groß sein. Und er war nicht nur groß, sondern überwältigend. Tausende Pilger (besser Romreisende, denn als Pilger würde ich ab nun nur mehr Fußpilger bezeichnen wollen und da war ich laut den Aufzeichnungen der Pilgerquartiere seit langem der Einzige!) stellten sich vor den Sicherheitsschleusen an. Peppo durfte nicht zum Papst, obwohl der doch mindestens 600 km nach Rom gelaufen war (wenn man die auf Katzenjagd zurückgelegten Kilometer berücksichtigt). Ihn konnte ich im Pilgerzentrum bei Iris und Christian abgeben, die ihn dann gleich als Maskottchen behalten wollten.

pollak_4Ich gelangte schließlich 2 Stunden vor Beginn der Audienz in die Halle. Was sich dort eröffnete sprengte meine Erwartungen gänzlich: Ich befand mich in einer Rock-Konzert-ähnlichen Atmosphäre in einer Halle, die der Wr. Stadthalle um nichts nachsteht. Rund 12.000 Gläubige sollen hier Platz finden. Und die Halle war zum Bersten voll. Pilger aus der ganzen Welt waren hier versammelt und warteten auf den heiligen Vater. Einige Spanier skandierten „Be-ne-de-tto“ und die ganze Halle stimmte ein! Turiner Nonnen jubelten unter Trommelklängen Plakate in die Höhe. Französische und kanarische Schülergruppen schwenkten ihre Halstücher. Ein Brite gab auf dem Dudelsack ein Lied zum Besten. Einige rappten und die Gurktaler Delegation sang dem Papst ein Ständchen, als sie namentlich aufgerufen wurde. Die ganze Situation war so bewegend und mitreißend, dass ich diese Kirche, meine Religion als völlig anders, unvergleichbar neu, offen und modern empfand. Der Papst war sichtlich auch berührt von so viel Applaus und Zuneigung, die auf so viele Arten dargestellt und gezeigt wurde, dass er sich sehr oft einem wohlwollenden Lächeln und auch Lachen hingab und die Darbietungen segnete und würdigte. Ich war sehr bewegt, so dass ich meine Freudentränen nicht mehr halten konnte. In einer solchen Kirche muss man sich einfach wohlfühlen.

Nach all meinen wunderschönen Naturerlebnissen und menschlichen Begegnungen kann ich diesen, meinen Weg auch mit einem Weg gleichsetzen, der mich näher zu mir und näher zu Gott gebracht hat, aber auch näher zu einer Kirche, der es verdammt gut tun würde, wenn sie ihre Pfarrer in so mancher verstaubten alpenländischen Gemeinde hin und wieder zu einer solchen Mittwochsaudienz einfliegen oder eben pilgern lassen würde. Dem Klerus hierzulande kann ich nur raten: Leute, schaut Euch Euren Chef an, dann wisst ihr, wie ihr unsere Jugend für Gott und die Kirche begeistern könnt! Tut was für unsere Jugend, für alle Gianlucas dieser Welt!

Ich verdanke diesem Weg viele, sehr persönliche und bewegende Erfahrungen und bin dankbar, dass er mich gefunden hat und ich ihn gehen durfte. Es wird nicht meine letzte Pilgerreise gewesen sein und ich werde auch Rom bald wieder sehen. Peppo wird dabei sein!